Es folgt ein offener Brief, geschrieben von einem Bruder.

Lieber Freund, ja, welchen Gewinn bringt Dir die Freimaurerei? Diese Frage, „Was bringt mir die Freimaurerei?“, zeigt, dass Du fest im Griff unserer heutigen Gesellschaft bist, die voll auf Vereinzelung und Profit ausgerichtet ist. Der Profit bestimmt den Wert eines Menschen, nicht mehr das Menschsein an sich.

Ein Bruder nannte die Gründe, warum er Freimaurer geworden ist. Er war in seinem Beruf sehr erfolgreich, ist gut situiert, hat ein schönes Haus, eine Frau und Kinder. Er hätte sehr zufrieden und sein Leben einfach nur genießen können. Aber er hatte trotzdem das Gefühl, es fehle ihm etwas. Er machte sich auf die Suche nach Antworten, so kam er in unsere Loge und sah, dass hier etwas geboten wird, was man mit viel Geld nicht kaufen kann, nämlich das Angebot, den Weg in der Gemeinschaft zu sich selbst zu finden.

Es gibt viele, auch ehrenwerte lnstitutionen, welche einen Weg anbieten, zu sich selbst zu finden. Doch Freimaurerei ist einzigartig, sie bietet viel, aber sie verspricht nichts. Das System der Freimaurerei ist keine ldeologie und hat keine Dogmen. Das System Freimaurerei, die Freimaurerloge, bietet nur einen Rahmen, ein Gerüst, in dem Du leben und Dich frei, in eigener Verantwortung, entwickeln kannst. Wie Du den Rahmen füllst, wie Du denkst und handelst, das bleibt Dir überlassen, Du bist und sollst frei sein.

Zuerst ist Freimaurerei eine Geisteshaltung und als solche hat sie nicht das Ziel, materielle Vorteile zu bringen, sondern auf humanistischer Basis, auf ethischen und moralischen Grundsätzen Dir eine innere, geistige Stabilität zu verschaffen, was darauf hinausläuft, auch den Sinn für das eigene Leben zu entdecken. Entscheidend für den Freimaurer sind die Fragen: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich? Es geht also um Selbst-Erkenntnis. Was ist der Gewinn von Selbst-Erkenntnis? Das Bewusstsein zu Deiner Freiheit. Die Freiheit, selbstbestimmt entscheiden zu können: Will ich Freiheit, oder ordne ich mich ein und unter?

Was viele glauben, sie hätten mit Freiheit immer die Entscheidungs­möglichkeit, sie könnten machen was sie wollen, ist zu kurz gesprungen. Zudem fehlt das Erkennen, dass sie in ihrem Alltag nicht frei sind. Sie haben nicht das Wissen, den Willen und die Ausdauer, immer wieder, jeden Tag, jede Stunde anzufangen, um ihre Freiheit zu kämpfen, weil sie ja glauben, frei zu sein. Freiheit kommt nicht von selbst, sie muss immer wieder erarbeitet werden. Das ist Eigenverantwortung, aber die nutzt gar nichts, wenn sie kein Gegenüber hat, welches Deine Gedanken und Taten spiegelt, ob Dir das nun gefällt oder nicht.

Stell Dir vor, Du stehst allein auf einem besonders schönen Strand. Du erlebst den herrlichsten Sonnenuntergang Deines Lebens mit allem Licht­feuerwerk, aber da ist keiner, der ebenso berührt ist oder dem Du Dich mitteilen, mit dem Du teilen kannst.

Daraus lässt sich der Schluss ziehen, wir brauchen echte, gelebte Gemeinsam­keit, allein sind wir einsam und nichts. Man ist zwar frei, aber nicht glücklich.

Der Freimaurer ist freiwillig eine Verpflichtung eingegangen, zuallererst zu sich selbst, im Weiteren auch zu seinen Brüdern, und darüber hinaus zu allen Menschen dieser Erde. Gemeinschaft und Gemeinsinn, das bietet die Loge. Freimaurer sind und bleiben jedoch immer Individualisten, sind also Einzel­gänger in einer Gruppe. Wenn Du einmal genauer nachdenkst, was haben Dir Deine vielen Amusements, Deine vielen Kontakte auf Partys wirklich ge­bracht, außer vielleicht Spaß? Was bleibt für Dich selbst übrig? Sind wir wirklich frei und können selbst entscheiden, wie wir denken und handeln? Das bezweifle ich stark, weil wir zum Großteil manipuliert werden, ohne dass wir das groß wahrnehmen. Davon will auch ich mich nicht freisprechen, aber immerhin habe ich ein Gespür dafür entwickelt, manipuliert zu sein und mich zu bemühen, in gewissen Rahmen einen Eigensinn zu entwickeln. Dazu hat mir die Freimaurerei wesentlich verholfen, und ich bin dankbar dafür.

Zurück zur Frage, ob wir frei sind. Wie gesagt, ich fange immer wieder an, meine Freiheit zu finden. Wir sind heute, im digitalen Zeitalter, der Taktung der Prozessoren unterworfen. Sie bestimmen unseren Arbeitsalltag, Computersysteme wissen fast alles von uns, ob wir nun Geld am Automaten ziehen, mit unserem Handy telefonieren, oder im Internet surfen und Emails schreiben, alles wird aufgezeichnet und wird dazu benutzt, unser Verhalten vorherzusagen und zu steuern, damit uns Angebote gemacht werden können, um schnell (und sicher) Profit zu bringen.

Genauso werden wir auch durch die Regierungen kontrolliert und manipuliert, Du als Mensch zählst nichts, sondern nur Deine Arbeitskraft, solange Du sie hast. Schau doch mal in die Altersheime und Krankenhäuser wie es ist, wenn man aus Dir keinen Profit mehr schlagen kann, was bist Du dann als Mensch wert?

Eine Freimaurerschwester beklagte kürzlich, dass sie keinen kommunika­tiven Kontakt zu ihrer 14-jahrigen Nichte mehr bekommen könne. Früher sei sie jeden Sommer mit ihr verreist, es habe ein reger Austausch wahrend des gemeinsam Erlebten stattgefunden. lnzwischen sitze das Mädchen unruhig beim Essen, stehe sofort danach auf, setze sich aufs Sofa und schaue angestrengt auf ihr Handy. Notfalls gehe sie einfach auf die Toilette, um ungestört mit ihrem Handy zu sein. Gespräch – null. Das Mädchen sei nicht mehr ansprechbar, ein Gespräch, ein Gedankenaustausch in der Familie finde nicht mehr statt. Das Miteinander sei verschwunden. Ist das Mädchen wirklich frei? Wie soll dieses Kind eine Zukunft des Miteinanders gestalten? Ein extremes Beispiel, gewiss, aber wir alle sind mehr oder weniger dabei, den Verlockungen der Prozessoren zu erliegen, in die Vereinzelung abzugleiten, dabei das Miteinander zu vergessen, und schlimmer noch, dem Spiel der Medien und den tollen Angeboten des Amusements, zu erliegen, immer mit dem Gefühl, frei zu sein, weil man uns das suggeriert.

Aber Freiheit ist ohne Verantwortung nicht zu erreichen, geschweige denn zu erhalten. Verantwortung ist für sich selbst zu tragen und ganz besonders für unseren Mitmenschen. Merke: Auch der ist letztlich verantwortlich, der keine Verantwortung übernehmen will. Freimaurer sollen sich aus sich selbst heraus, also bewusst, verantwortlich fühlen, das ist ihre Pflicht. Dazu müssen sie erkennen, wer sie sind und wo sie stehen. Das bedingt immer eine Überprüfung des eigenen Standpunktes, des eigenen Handelns und: Was ist sinnvoll? Was ist wirklich notwendig? Was will ich wirklich?

Das ,ERKENNE DICH SELBST!“ ist die Grundforderung an den Freimaurer, und das bedeutet im ersten Schritt Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, was in ihm passiert, wo er steht, wie er denkt, weshalb und wie er handelt. Mit Aufmerksamkeit beginnt die Arbeit an sich selbst, an dem rauhen Stein, der bearbeitet werden muss.

Es ist der Wille zur Pflicht des Freimaurers, nach moralischen Grundsätzen zu leben, nicht Herr sein wollen, sondern Diener. lmmer mit sich selbst kritisch zu sein, immer kritisch mit dem was in seiner Umwelt geschieht, sich in Beziehung setzen, das ist die Arbeit des Freimaurers. Zugegeben, das ist oft mühsam, bedeutet Widerstand, Mut, auch Demütigung und Demut, aber es lohnt sich, denn der Freimaurer fühlt sich lebendig und weiß wer er ist. Das ist sein Gewinn.

Freimaurerei ist, wie gesagt, eine Geisteshaltung, die kann aber ohne bewusstes Handeln nichts bewirken. Das bedeutet: Engagement ist gefordert, ein Einbringen für mich als ganze Person, ehrlich und offen, zuverlässig, grad­linig, berechenbar und ausdauernd. Die Freimaurerloge vermittelt Dir ethi­sche und moralische Werte (übrigens uralte), damit erhältst Du eine innere Struktur und Ordnung und die wird immer von Deinen Brüdern getestet und in Frage gestellt. Das ist oft nervig und manchmal unerfreulich, die Brüder machen es Dir nicht leicht. Aber in den Auseinandersetzungen darüber er­kennst Du langsam, aber sicher Deinen eigenen Sinn, Deinen eigenen Weg. Das nicht nur innerhalb der Loge nützlich, sondern auch in Deinem Alltag. Das ist Dein Gewinn. Dein Wesen verfestigt sich, weil Du Deinen Standpunkt erkennst und damit, was Dir wirklich wichtig ist. Du wirst toleranter, verständ­nisvoller und pflegst einen liebevolleren Umgang in der Familie, im Verein und der Gesellschaft, wo immer Du Dich engagierst.

Der Freimaurer ist Gestalter, für sich und seine Mitmenschen. Das erfor­dert Achtsamkeit und ist unbequem. Also lieber Freund, entscheide, was Du willst, was Dir Gewinn bringt:
Willst Du bewusst durchs Leben schreiten? Willst Du Teilnehmer, oder nur Zuschauer sein? Willst Du bewusst entscheiden? Willst Du eine Auf­gabe? Willst Du Verantwortung ubernehmen?

Der Lohn des Freimaurers, sein Gewinn ist, dass er bewusst am Leben teilnimmt, anstatt die Illusion zu haben, in Freiheit am Leben teilzunehmen. Er wird im Laufe seines Freimaurerlebens mehr und mehr Herr sei­ner selbst, anstatt in geistiger Unfreiheit, auch wenn das bequem ist, ein­fach so zu existieren.

Lieber Freund, es spielt für mich keine Rolle, ob Du den Weg in die Frei­maurerei gehen willst oder nicht. Du bist und bleibst mir lieb und teuer, ein für mich wertvoller Mensch, mit dem ich auch gerne in Zukunft zu­sammen sein möchte. In diesem Sinne bin ich

Dein Freund.

 

 


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